Leitbild für Keltern in allen Ortsteilen vorgestellt

Thema Natur, Boden, Luft und Wasser hatte größtes Gewicht

Hartnäckigkeit der Bürger wird sich auszahlen

2018-10-25

Prof. Rudolf Jourdan & André Ott,  aktivster und unnachgiebigster Fragesteller zu der  Verwirklichung des Leitbildes

Prof. Rudolf Jourdan & André Ott, aktivster und unnachgiebigster Fragesteller zu der Verwirklichung des Leitbildes. Ott, früherer Gemeinderats-Kandidat von ‚Wir in Keltern‘ macht sich sichtlich Sorgen um eine gesunde Zukunft für die Einwohner von Keltern. Foto und Text: Heiderose Manthey und FeM.

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Keltern. Die Informationsveranstaltungen für die Werbung und Erwärmung der Kelterner Bürger für ein Kelterner Leitbild – eine Art Zukunftsprognose  der Entwicklung der Dörfer und deren Gestaltung nach dem Willen der Bürger – sind nun für die Teilorte Dietlingen, Weiler, Ellmendingen, Dietenhausen und zuletzt auch für Niebelsbach zu Ende gekommen. Insgesamt fiel die Beteiligung der Bürgerschaft in allen Ortsteilen sehr mäßig aus.

Keltern mit seinen insgesamt 9.161 Einwohner, Stand vom 30. September 2018, wies ein erstaunliches Bild an interessierten Bürgern auf: Je weniger Einwohner der Ort hatte, desto mehr Einwohner waren prozentual anwesend.

Zählt gerade mal Einwohner. Kelterns kleinster Teilort Dietenhausen. Hatte prozentual gesehen die größte Teilnehmeranzahl.

Kelterns kleinstes Dorf Dietenhausen. Zählt gerade mal knappe 400 Einwohner. Hatte aber prozentual gesehen die größte Teilnehmeranzahl !

So bestach das beschauliche und kleine Dietenhausen mit dem höchsten Anteil an Teilnehmern. Ausgehend von 395 Einwohnern waren im kleinsten Teilort etwa fünf Prozent Bürger (20) anwesend. In Ellmendingen mit seinen 2.506 Einwohnern waren es 1,6 Prozent (40). In Niebelsbach (987 Einwohner) 3,7 Prozent (37). Schlußlicht bildete der größte Teilort Kelterns mit seinen aktuellen 3.923 Einwohnern Dietlingen. Dort waren gerade einmal 0,8 Prozent anwesend (34). Weiler mit 1.350 Einwohnern wies 34 Zuhörer auf, also 2,5 Prozent.

Daraus zu schließen, dass gerade die kleinern Dörfer noch mehr Interesse an ihrem gemeinsamen Wohl hätten und die größeren Orte bereits urbanisiert seien, ist eine Vermutung, die durchaus angestellt werden darf.

Bei den Informationsveranstaltungen sollen auch wenige Gemeinderäte unter den Zuhörern in den verschiedenen Teilorten gewesen sein. Leider wurden diese nicht vorgestellt und Bewohner mit weniger kommunalpolitischer Erfahrung hätten diese auch unter den Anwesenden nicht ausmachen können.

Rückblick

Die Gemeinde Keltern hat mit ihren fünf Orten Dietenhausen, Dietlingen, Ellmendingen, Niebelsbach und Weiler eine Gemarkungsfläche von 2984 ha. Aus einer sich vorwiegend selbst versorgenden und naturbelassenen Ansiedlung einzelner autarker Dörfer wurde in den letzten Jahrzehnten eine stark ausgedehnte Wohngemeinde und mit zunehmender Bereitstellung von Gewerbegebieten eine mit Industrie und Handwerk ausgestattete Gemeinde.

Waren noch vor 50 – 70 Jahren Jahren und vor der Gemeindereform in den 70er Jahren und dem „Zwang“szusammenschluss der fünf Dörfer zu einer Großkommune die Tätigkeiten der Selbstversorgung an Lebensmitteln auf vielen Schultern und Nebenerwerbslandwirten verteilt, so werden die landwirtschaftlichen Nutzflächen von immer weniger Vollerwerbslandwirten mit großen Maschinen betrieben, die den Boden stark verdichten. Nur wenige Landwirte betreiben einen Hofabverkauf. Inwieweit die landwirtschaftichen Betriebe bereits auf Biologische Bewirtschaftung übergegangen sind, bleibt zu erkunden.

Der Versuch durch gezielte Bebauungspläne den Zusammenbau der ehemals autonomen Dörfer Dietlingen und Ellmendingen zu einem flächendeckenden sich nicht mehr abgrenzen könnenden Konglomerat zu forcieren, ist unübersehbar.

Bochinger begrüßt, aber Jourdan spinnt den Leitfaden zum Handeln für die Bürger

Prof. Rudolf Jourdan bei seinem Vortrag über die Rahmenbedingungen der Leitbilderstellung in Niebelsbach. Einwohner André Ott vorne rechts nach seiner Frage bzgl. Landschaft- und Naturschutz.

Prof. Rudolf Jourdan bei seinem Vortrag über die Rahmenbedingungen der Leitbilderstellung in Niebelsbach. Einwohner André Ott vorne rechts nach seiner Frage bzgl. Landschaft- und Naturschutz.

Nach einer jeweils kurzen Begrüßung und Einleitung von Bürgermeister Bochinger zu dessen Motivation ein Leitbild auf Bürgerbasis erstellen zu lassen, stellte der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Rudolf Jourdan die Rahmenbedingungen auf und erklärte  den Anwesenden, wie der Prozess der Fertigung des Leitbildes für Keltern in etwa erfolgen könnte.

Jourdans Prämisse kam in jedem seiner Vorträge zum Tragen: 

1. Der Prozess der Leitbilderstellung solle frei – also vollkommen frei von kommunalpolitischem oder verwalterischem Dazwischenwirken – ablaufen.
2. Die Bürger könnten das Leitbild nach ihrem Willen erstellen.

Der Professor und Dozent für Wirtschaftswissenschaften und Marketing an der Fachhochschule Ludwigsburg, Rudolf Jourdan, stellte ohne Umschweife das Spannungsfeld heraus, das sich potenziell zwischen der Bürgerschaft auf der einen und dem Gemeinderat und dem Bürgermeister auf der anderen Seite ergeben könnte.

Jourdan stemmt sich dagegen: Würden hier Bürger als Entwickler ehrenamtlich engagiert und am Schluss das Ergebnis ihres Willen gekippt ?

Aber schlussendlich, so Jourdan, arbeiteten ja die Bürger das Leitbild aus. Jedoch werde in einer repräsentativen Demokratie die Arbeit der Bürger an den Gemeinderat übergeben und dieser entscheide abschließend, welche Projekte und Zukunftsperspektiven letztendlich übernommen werden und welche nicht. Wäre demnach die Arbeit und das Engagement einzelner Bürger umsonst ?

Jourdan betonte an dieser Stelle, dass in unserer heutigen Zeit eine sinnvolle Bürgerbeteiligung längst über eine „Modeerscheinung“ hinaus gegangen sei und Rufe wie „Wir sind das Volk“ oder „Wir sind die Bürger“ zwischenzeitlich so laut geworden seien, dass der Gemeinderat und Bürgermeister den Willen auch umsetzen sollten. Er würde sich einem Gemeinderat, der den Willen der Bürger mit Füßen treten wolle, persönlich entgegenstellen und ihm erklären, dass so etwas nicht ginge.

Die wichtigsten Details an Informationen wurden vertagt

Insgesamt war die Zeit für die Vorstellung der Leitbilderstellung so beschränkt, dass die Wegfindung der konkreten Umsetzung des Bürgerwillens mit Hilfe des Leitbildes nur teilweise durch den Professor angerissen werden konnte. Wichtige Details, wie die Bürger vorgehen sollten, um überwachen zu können, dass Verwaltung und Bürgermeister das Leitbild auch in den kommenden Jahren umsetzen, musste leider auf zukünftige Treffen verschoben werden.

Von der Vision zu konkreten Handlungsfeldern

Dass aber ausgerechnet diese konkrete Umsetzung praktisch mit das Wichtigste am gesamten Prozess sei, betonte Prof. Jourdan mehrfach deutlich. Das Leitbild für Keltern solle schließlich – im Gegensatz zu einer reinen Vision – konkrete Handlungsfelder und Umsetzungsschritte beinhalten, wie Keltern vom heutigen Zustand zu dem gewünschten Stand in der Zukunft anhand des Bürgerwillens komme. So gesehen, solle der Leitbildprozess niemals zum endgültigen Abschluss kommen. Er solle alle ein bis zwei Jahre erneut überprüft und gegebenenfalls verändert werden, wenn sich Rahmenbedingungen, Gesetze oder einfach der Wunsch der Bürger veränderten.

Jourdan betonte, dass das Leitbild generationsübergreifend und bis in die ferne Zukunft fortgeführt werden solle. So gesehen stelle der Leitbildprozess eine dauerhafte Anweisung an alle zukünftigen Gemeinderäte, an kommende Verwaltungsangestellte und ebenso für die zukünftigen Bürgermeister dar. Daher sollten alle daran Mitwirkenden auch darüber wachen, dass dieses Leitbild und die daraus hervorgehenden Projekte sukzessive vom Gemeinderat und den nachfolgenden Bürgermeistern umgesetzt werden.

Besorgnisbekundende Fragen der Bürger: Kostenlos generierte Zukunftsexpertise ohne Realisierung ?

Hat Keltern eine Zukunft als eine Gemeinde, die sich um die Gesunderhaltung ihrer Einwohner stark macht ? Wasser, Luft, Böden sind die ersten Faktoren, auf die wir zu achten haben !

Hat Keltern eine Zukunft als eine Gemeinde, die sich für die Gesunderhaltung ihrer Einwohner stark macht ? Die Natur, das Wasser, die Luft und naturbelassene Böden sind die ersten Faktoren, auf die jeder Bürger selbst zu achten hat !

Die anschließenden Fragen der Bürgerschaft an Bürgermeister Bochinger und Professor Jourdan wiesen fast ausschließlich zwei Kernelemente auf:

Zum einen wurde teils lebhaft diskutiert, ob das Ergebnis der Bürger auch tatsächlich von Gemeinderat und Bürgermeister umgesetzt wird oder ob der zu erbringende Einsatz nicht verschwendete Liebesmühe wäre, quasi einer kostenlos generierten Zukunfsexpertise gleichkommend.

Bürgerwille und Bürgerarbeit bleibt unter Kontrolle !

Auf die in den Ortsteilen Weiler, Ellmendingen, Dietenhausen und Niebelsbach gezielt wiederholt gestellten Fragen von Andé Ott (ehemals Kandidat der Liste ‚Wir in Keltern‘,abgebildet im Artikel „Regionalisierung statt Globalisierung“ gemeinsam mit Prof. Dr. Bernd Senf) an den Bürgermeister Bochinger, wie er gedenke den Bürgerwillen durchzusetzen, falls der Gemeinderat diesen nicht achten wolle, antworte der Schultes stets so, dass er nur einer von 19 Stimmberechtigten sei und nur hoffen könne, dass der Gemeinderat den Bürgerwillen achte. Schließlich, so argumentierte Bochinger, hätte ja er und der Gemeinderat für die Erstellung des Leitbildprozesses gestimmt.

Diese Bekundung hat allerdings gemessen an der Aussage eines namentlich bekannten Gemeinderates, dass er ja am Ende über die erbrachte Arbeit der Bürger abstimmen würde, wenig Erfolgsaussicht.

Was die restlichen 17 Gemeinderäte unlaut denken, wurde den Bürgern nicht zugetragen.

Hauptaugenmerk auf Natur, Boden, Luft und Wasser – Aber: Werden die Interessen der  Landschafts- und Naturschützer-Gruppe schon im Vorfeld gebrochen ?

Zum anderen wurde von Seiten der Bürger hauptsächlich das Thema Natur, Boden, Luft und Wasser in die Veranstaltung eingebracht. Dieses sehr wichtige Thema bewegte viele Zuhörer. Bemängelt wurde, dass sich dieses Thema so nicht in den Vorlagen von Professor Jourdan wiederfand bzw. dass es dort nur untergeordnet und als Randthema erschiene. Viele Anwesenden wollten daher eine eigene Gruppe für den Leitbildprozess schaffen, um z.B. Landschaftsverbrauch, Flächenversiegelung und Naturzerstörung zu thematisieren.

Gegen diese sich gerade formierende Landschafts- und Naturschützer-Gruppe wurde in einigen Ortsteilen versucht bereits im Vorfeld verbalen Druck auszuüben, um das Thema Natur maximal am Rande mitlaufen zu lassen. So äußerte ausgerechnet Gemeinderätin Nittel, dass hier versucht werden würde, die Natur gegen andere Interessensgebiete auszuspielen. Diese Äußerung lässt bereits tiefe Einblicke in den zukünftigen Umgang mit der sich gerade im Keim des Entstehungsprozesses befindlichen Landschafts- und Naturschützer-Gruppe zu.

Und so geht es weiter

Trotz aller Diskussionen kommt der spannendste Teil noch auf die Bürger zu: Am 20. November diesen Jahres ist das erste Treffen der Bürgerschaft geplant, um Handlungsfelder, Gruppen und Vorgehensweisen selbst zu organisieren – unter der helfenden Moderation von Professor Jourdan.

Gemeinderäte, Verwaltung und Bürgermeister werden an dem ersten Teil des Prozesses keine Mitwirkungsmöglichkeit haben, dürfen aber von den selbstorganisierten Gruppen später zur Beratung einberufen werden. Andere Fachkräfte und Sachverständige dürfen hinzugezogen werden.

Laut Planung und Vorgaben von Jourdan wird es wohl mindestens sechs Projektsitzungen geben. Wie oft, wo und wann sich einzelne Projektgruppen außerhalb der Reihe treffen, regeln die Gruppen selbst.

Am Ende tragen alle Gruppen ihre Ergebnisse zusammen und bilden abschließend ein vollständiges Leitbild für Keltern. Dies beinhaltet sowohl die Vision für die Zukunft der nächsten zehn bis 20 Jahre, als auch ganz konkrete Projekte zur Umsetzung dieser Vision.

Ist das der Haken ?

Das von den Bürgern ausgearbeitete Werk wird danach an den Gemeinderat weitergeleitet, der darüber entscheidet, ob er die Vision und Projekte so umsetzen will oder eben nicht. Weiterhin sollen sich laut Jourdan in jedem Fall Bürger organisieren, um den Bürgermeister und den Gemeinderat dauerhaft und unentwegt zu kontrollieren, ob sie allesamt das Leitbild adäquat umsetzten und natürlich regelmäßig weiter an der Leitbildveränderung arbeiten.

Frage von ARCHE: Warum können sich der Bürgermeister und sein Gemeinderat die Zeitleiste zur Realisierung des Leitbildes nicht selbst auf ihre Agenda setzen und kontinuierlich den Bürgern über die Verwirklichung öffentlich in den Gemeindenachrichten Rechenschaft ablegen und regelmäßig darüber berichten ?

Fazit: Großes Potenzial für weitgreifende Veränderungen

ARCHE für die Gesunderhaltung der Natur, der Böden, der Luft und des Wassers !

ARCHE für die Gesunderhaltung der Natur, der Böden, der Luft und des Wassers !

Das Leitbild für Keltern hat das Potenzial für große Veränderungen in unserer Gemeinde, so es von weitblickenden Bürgern genutzt wird. Ob zukünftig Gemeinderäte und Bürgermeister nach dem nun erstellten Maßstab gemessen und gewählt werden, ob und wie gut sie das künftige Leitbild umsetzen, wird sich last not least daran orientieren, wie ernsthaft und ausdauernd die Gemeinderäte selbst und auch die Bürgerschaft sein wird, beim Leitbildprozess und dessen hartnäckiger Durchsetzung mitzuwirken. Wenn dies gelingt, könnte es wirklich in naher Zukunft zu recht heißen: „Keltern – Eine Gemeinde auf der Höhe der Zeit !“ … und damit ein Vorbild für viele andere Gemeinden sein.

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