Prozess um die „Beleidigung“ eines Bundesbeamten vorerst zu Ende
Richter Kitanoff kommt fast warmherzig, aber auch richtig in der Sache ?
2014-12-04
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Karlsruhe. Gestern wurde der Europa- und Menschenrechtsanwalt Dr. David Schneider-Addae-Mensah vor dem Amtsgericht in Karlsruhe vom vorsitzenden Richter schuldig gesprochen.
Gegen den Angeklagten, der sich vorwiegend für psychiatrische Fälle, Zwangspsychiatrisierung, Unterbringung und im Maßregelvollzug einsetzt, lag ein Strafbefehl vor. Vor dem Amtsgericht in Karlsruhe stand seine Aussage gegen die der Staatsanwaltschaft, die ihr Vorgehen gegen den Anwalt auf zwei Zeugenaussagen von diensthabenden Polizisten vor dem Bundesverfassungsgericht stützte, die selbst in den Vorgang verwickelt waren.
Einer Verwarnung ähnlich floß kurz nach elf Uhr der ’salomonische‘ Urteilsspruch von Dr. Alexander Kitanoff über den Richtertisch. Schneider-Addae-Mensahs Einsatz schätze der Urteilssprechende als Betreuungsrichter sehr hoch, aber, so der Richter weiter: „Sie waren genervt“ und „aufgebracht“. Es handelt sich um eine „grobe“ und „gewaltige Entgleisung“, da gegen Menschen, die im Dienst sind. Der Anwalt wurde verurteilt.
Zum Hergang
Rechtsanwalt Dr. David Schneider-Addae-Mensah wirft am 14. April 2014 in den Briefkasten des Bundesverfassungsgerichtes direkt vor dem verspiegelten Wächterhäuschen ein Schreiben ein und liegt kurze Zeit nach dieser Tat gefesselt auf dem Boden. Der Menschenrechtsanwalt erstattete Anzeige gegen die Polizisten u.a. wegen Körperverletzung im Amt und Verleumdung. Aber nicht der Polizeibeamte, der ihn niederrang, steht vor Gericht, sondern der Anwalt selbst.
Drei Aussagen und zwei Plädoyers
Gleich zu Beginn der Verhandlung trug Dr. David Schneider-Addae-Mensah seine Darstellung des Ereignisses vor dem Briefkasten des Bundesverfassungsgerichts glaubhaft vor.
Nach Einwurf eines Briefes gegen 12:00 Uhr am besagten Tag sei er von einem Polizisten angeschrien und am Arm gepackt worden. Dieser habe mehrfach ‚Ausweis‘ geschrien, ihn auf den Boden geworfen und auf dem Bauch liegend Handschellen angelegt.
Diese Gewaltanwendung habe Verletzungen hervorgerufen, die später ärztlich attestiert wurden. Nach Eintreffen weiterer Polizisten sei er in einen Baucontainer geführt und dort vernommen worden. Er musste seine Papiere vorlegen, seine Sachen seien durchsucht worden. Gegen 12:30 Uhr konnte er wieder gehen.
Beweisaufnahme
Die Schilderung der beiden Zeugen, also der beiden diensthabenden Polizisten, die am Niederringen und Fesseln des Anwaltes agierend und beobachtend beteiligt waren, widersprachen der Aussage des Angeklagten im entscheidenden Punkt: Der Angeklagte habe 8-10 mal Drecksbulle gerufen, so PHM Michael Sch.. Beim zweiten Zeugen, POM Andy K., war nur noch von 2 – 3 mal die Rede, in der das beleidigende Wort „Drecksbulle“ gefallen sein soll.
Die Vernehmung durch den Verteidiger
Ob denn die Bundesbeamten auch den Koffer des Angeklagten und das Auto, das vor der Einfahrt gestanden wäre, wahrgenommen hätten, fragte der Verteidiger Thomas Saschenbrecker die beiden Polizisten bei deren Vernehmung. Keiner der beiden Diensthabenden hatte laut Aussage von dem Koffer Notiz genommen, in dem ja etwas drin sein hätte können.
Plädoyer des Staatsanwaltes
Es stünde zwar Aussage gegen Aussage, so der Staatsanwalt Dr. Sebastian Untersteller. Der Polizist habe sich nicht optimal verhalten, jedoch sei die Einlassung belegt durch die Aussagen der beiden Polizisten.
Er wusste dann in seinem Plädoyer zwar nicht, wie oft der Ausdruck gefallen sein solle, aber dass er gefallen ist, das wusste er.
Der Anwalt hätte Medieninteresse erzeugen wollen durch sein Briefkastenstehen, so Untersteller.
Plädoyer des Verteidigers
Diese Angelegenheit hätte nicht vor Gericht gezogen werden dürfen. Es handelte sich um wechselseitige Sentimentalitäten, wobei auch die Hautfarbe des Angeklagten eine Rolle gespielt haben könne. Es sei unglaubwürdig, dass sich sein Mandant lange am Briefkasten aufgehalten und sich somit verdächtig gemacht hätte.
Die Sicherheit gerade vor dem Bundesverfassungsgericht sei zwar geboten, aber nicht um jeden Preis.
Das letzte Wort
Der Angeklagte betonte, dass er nicht wisse, warum der ihn angreifende PHM Michael Sch. ausgerastet sei. Von Seiten der Polizisten seien handwerkliche Fehler gemacht worden. Das Auto in der Einfahrt war nicht wahrgenommen worden, ebenso wenig sein Koffer. Er habe zum Vorfall eine eidesstattliche Versicherung abgegeben und er selbst gelte als ausgesprochen eitel und wäre keineswegs „schnuddelig“ gekleidet gewesen.
Die Beleidigung sei nicht erwiesen und er beantrage Freispruch.
Das Urteil
„Der Angeklagte ist der Beleidigung schuldig.“
Es erfolgte eine Verurteilung per Schuldspruch, einer Verwarnung mit Strafvorbehalt und Bewährungszeit von einem Jahr gleich.
Wie geht es weiter ?
Ob Rechtsmittel eingelegt werden, konnte Verteidiger Saschenbrecker im Abschlussgespräch der Presse noch nicht mitteilen, dazu bedürfe es zuerst eines weiteren Gespräches mit seinem Mandanten.
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Der Kommentar
Der Staatsanwalt Dr. Sebastian Untersteller sah Schneider-Addae-Mensahs Schuld für bewiesen. Er wusste, dass der einer ausgewählten sprachlichen Ausdrucksform mächtige Angeklagte, den diensthabenden Bundesbeamten, der den Anwalt für Europa- und Menschenrecht als hochgradig verdächtig einstufte, als Drecksbullen bezeichnet habe, nachdem dieser – dem Angeklagten körperlich vollkommen überlegene Bewachungspolizist – den Anwalt zu Boden gezerrt und gefesselt hatte.
Wie oft wisse er nicht, aber dass er es getan hat, das wusste er.
Die Fähigkeit der Hellsichtigkeit und das Vermögen von Staatsanwälten ihrem Ausdruck nach mit vor Ort gewesen zu sein und den Tathergang genau zu kennen, stellt in unserer Zeit eine Hybris dar, die wohl schon Tausende von Menschen unschuldig verurteilt und auch hinter Gitter gebracht hat.
Falschaussagen und mangelhafte Gutachten tragen dazu häufig bei !
Auch der Richter schien weit mehr richten zu wollen als das bloße Urteil zu sprechen. Er stülpte seine eigene Vorstellung von Schneider-Addae-Mensahs Innenleben, wie dieser sich zur Tatzeit gefühlt haben musste, mehrfach dem Anwalt über den Kopf. Der Angeklagte schüttelte bei diesen richterlichen Darstellungen über ihn („Sie waren genervt“ und „aufgebracht“.) mehrfach den Kopf.
Die Justiz jedenfalls macht sich ihre eigenen Bilder. Immerhin müsste sie ja gegen ihren eigenen Dienstherren und gegen dessen Beschützer vorgehen, wenn sie die Anzeige von Schneider-Addae-Mensah verhandelt hätte.
Betrachtet man die Justizirrtümer der letzten Jahre, stellt sich die Frage, wie lange die Justiz überhaupt noch die „Königin der Wahrheit“ bleiben kann. Der „König der Wahrheit“ war im Gerichtssaal in Karlsruhe noch nicht erschienen.
Dessen Funktion läge nämlich in der Verwirklichung des Vorschlags aus Saschenbreckers Plädoyer: Die angespannte Situation des Polizisten erkennen, also den berechtigten oder unberechtigten Verdachtsmoment ergründen, die durch den Polizisten erspürte ‚drohende Gefahr‘ ernst nehmen und hernach überlegen, wie der durch diese paranoide „Gefahren“situation eingeleitete Vorfall hätte anders geregelt werden können.
Einen verdienten Anwalt für Menschenrechte für einen solchen Vorgang vor Gericht zu ziehen, die Sachlage ungleich zu gewichtigen, ihn als einzigen zu beschuldigen und zu bestrafen, ist ein richterlich schwacher Zug, ein unwürdiger Bauernzug – oder noch deutlicher – das Herhalten eines Bauernopfers, herbeigeholt für die Existenzberechtigung des Schachbrettes, sprich für die Erhaltung der Gewalt in den Staatsstrukturen.
Was dahinter stecken könnte ? Eine Staatsparanoia ? Beamtenparanoia ?
Wie oft wurde denn nun „Drecksbulle“ aus dem Mund des Menschenrechtswanwaltes hervorgebracht ?
PHM Michael Sch. bei seiner Zeugenaussage: „10 mal wurde Drecksbulle gesagt.“
POM Andy K. auf Richterfrage: „2 – 3 mal“
Staatsanwalt Dr. Sebastian Untersteller bei seinem Plädoyer ab 10:13 Uhr: „Wie oft Drecksbulle gefallen ist, wissen wir nicht, aber es ist gefallen !“
Richter Dr. Alexander Kitanoff bei der Urteilsbegründung: „1 mal hat es auch POM Andy K. gehört.“
Verteidiger Thomas Saschenbrecker: „Ich gehe nicht davon aus, dass Drecksbulle gefallen ist.“
Angeklagter Dr. David Schneider-Addae-Mensah: „Drecksbulle habe ich nicht gesagt, zu keinem Zeitpunkt.“
Zu Beginn seiner Urteilsbegründung kurz nach 11 Uhr sagt Richter Dr. Alexander Kitanoff , dass gerade Polizei und Rechtsanwälte der Wahrheit verpflichtet seien. Gilt dies für den Richter auch ?
Dieser hat ja den Zeugen POM Andy K. während des Prozesses befragt, wie oft dieses Wort „Drecksbulle“ gefallen wäre und bekam die obige Antwort ! Wie kann der Richter dann in der Urteilsbegründung die Anzahl 1 ins Spiel bringen ?
Wir werden wohl nie erfahren, wie oft der Ausdruck „Drecksbulle“ in Wirklichkeit gefallen ist. Hauptsache, das „Gericht“ weiß es und es wurde einer verurteilt per Schuldspruch, gleich einer Verwarnung mit Strafvorbehalt und Bewährungszeit von einem Jahr !
Und der staatliche Körpergewalt ausübende Polizist ? Er ist unschuldig, da er gar nicht vor Gericht gestellt wurde.
Fazit
Eine hochneurotische und hochsensible Situation, einer Bedrohung für Menschen gleichkommend, wurde hochstilisiert und ein Schuldiger wurde gefunden. Ein Bauernopfer ? Wurde ein Unschuldiger zum Täter gemacht ?
Weitere Berichterstattung
Sobald der Film unserer Kollegen mit den Interviews vor und nach dem Prozess fertig gestellt ist, werden wir uns wieder zur Briefkastenparanoia melden !
Anmerkung
Die Berichterstatterin wurde vor dem Verhandlungsraum um ihren Presseausweis gebeten. Die Personalien wurden aufgenommen. Sodann musste der Personalausweis vorgelegt werden, weil das Geburtsdatum notiert werden musste. Die für den Tatbestand „Beleidigung“ übergroße Polizeipräsenz und -kontrolle war sehr auffallend.