Interview mit Dr. Albert Wunsch zu „Wo bitte geht’s nach Stanford?“¹
Optimale Förderung von Kindern
2017-05-04
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Sollen Eltern wirklich ein Elite-Studium für ihre Kinder anstreben?
Ich definiere „Stanford“ recht weit. So erklärt meine Co-Autorin, wie sie früh den Grundstein für das Auslandsstudium ihrer Söhne gelegt hat. Ich erkläre Eltern, dass gut angeleitete Kinder Erstaunliches leisten und so ihr persönliches „Stanford“, also ihr Berufsziel, sei es ein Studium, einen eigenen Blumenladen oder den Meisterbrief erreichen können.
Setzen sehr ambitionierte Ziele Schüler nicht noch mehr unter Druck?
Mein Leitsatz: Wer früh unterfordert wird, ist später oft überfordert. Wenn also Eltern ihren Kindern von klein auf alles „hinterhertragen“ – sei es ein Spielzeug, das sie dem Baby bringen anstatt es dorthin robben zu lassen, oder eine anstrengende Radtour, die sie auf Drängen des 14-jährigen Sohnes frühzeitig abbrechen – nehmen sie ihnen die Gelegenheit, etwas selbst zu schaffen. Erfolge fördern Selbstvertrauen und Motivation. Kindern, die an einer ständigen „Versorgungspipeline“ hängen, fehlt es zwar an nichts. Sie entwickeln aber im Anstrengungs-Mangel kaum Visionen.
Wie schaffen Eltern die Balance zwischen Ermutigung und Überforderung?
Achtsam auf ein Kind reagieren und Dran bleiben ist eine gute Basis. Das bedeutet, den Kindern vermitteln, dass es sich lohnt Interessen weiter zu verfolgen, auch, wenn es mal schwierig wird; etwa, wenn Jugendliche die Lust am Klavier spielen zeitweilig verlieren.
Was, wenn Kinder Lebensziele formulieren, die nicht den Erwartungen der Eltern entsprechen, oder gar keine Berufsvorstellung haben?
Es gilt in die Kinder hineinzuhorchen, ihnen zuzuhören und ihre Vorstellungen und Faszinationen ernst zu nehmen; auch, wenn sie zunächst absurd klingen. Einem Berufsziel näher kommt man ergänzend durch gezieltes Anfragen von Interessen. Wählen Sie fünf Fotos aus unterschiedlichen Berufen und fragen Sie ihr Kind, was ihn oder sie anspricht. Das schafft eine Annäherung einen Einstieg für ein tiefergehendes Gespräch und einen eventuellen Traumberuf.
Welche Einstellung haben Sie zum Leistungsbegriff?
Leistung macht glücklich und kaputt. Welches Extrem zutrifft, hängt stark von der Leistungsdefinition ab. Hat etwas geklappt, etwa das Vorspiel beim Musikwettbewerb, fühlt sich das verflixt gut an. Geht es nur um Geld und Status, haben etwa diejenigen, die ihre Angehörigen pflegen oder Erziehungszeiten nehmen, quasi nichts geleistet – und werden mangels Anerkennung frustriert. Ein wichtiger Grundsatz: Je mehr sich Jemand etwas leisten will, je umfangreicher muss auch die Bereitschaft und Fähigkeit sein, Leistung zu erbringen.
Wird soziales Engagement zu wenig honoriert?
Oft leider ja. Schüler beispielsweise haben dafür angesichts des ungeheuren Pensums, das sie in acht Jahren lernen müssen, kaum Zeit. Ich plädiere daher klar für G9. Meine Beobachtung ist, dass viele Jugendliche im G8-System kaum Luft zum Atmen haben.
Brauchen auch Überflieger, die es wirklich bis nach Stanford schaffen, manchmal Pausen?
Nach einer Leistungsphase sollte der Kopf in einen ruhigen Modus schalten, auch, damit man die Bodenhaftung nicht verliert. Denn auch Herz und Hand gehören zum Leben. Das kommt bei sehr ambitionierten Menschen manchmal zu kurz.
Ratgeber „Wo bitte geht’s nach Stanford?“ (320 Seiten) ist im April 2017 im Beltz Verlag erschienen. Preis 16,95€.
Autoren Die Münchner Betriebswirtin Dr. Isabelle Liegl und der Neusser Erziehungswissenschaftler Dr. Albert Wunsch haben je einen Buchteil verfasst.
¹Der Neusser Erziehungswissenschaftler, Autor und Psychologe Dr. Albert Wunsch erklärt in seinem neuen Buch „Wo bitte geht’s nach Stanford?“, das er gemeinsam mit der Betriebswirtin Dr. Isabelle Liegl geschrieben hat, wie Eltern ihren Nachwuchs gezielt fördern.
Das Interview führte Julia Rommelfanger von Neuß-Grevenbroicher Zeitung / Rheinische Post mit freundlicher Genehmigung von Dr. Wunsch