„Mami, gib‘ mir Geld oder ich schlage dich.“

Mami, gib‘ mir Geld oder ich schlage dich.“

Alles Wollen, wenig Können, viel Fordern! – verwöhnte Kinder heute!

von Albert Wunsch

2015-05-13

Stand bereit für die fachliche Auseinandersetzung. Dr. Albert Wunsch. Interviewpartner von Heiderose Manthey.

Albert Wunsch. Packt ein heißes Eisen an: Gewalt an Eltern von den eigenen Kindern.

75 Prozent der Deutschen glauben, dass wir auf dem Weg in eine Gesellschaft von Egoisten sind und dies vor allem dadurch, dass Eltern ihre Kinder verwöhnen. So das Ergebnis einer Umfrage des Magazins „Familie&Co“. Dabei birgt der Begriff „Verwöhnen“ sehr viele Facetten, die auch zu Verwirrung und Missverständnissen führen können. Häufig kommt er in der Werbung zum Einsatz. „Lassen Sie sich verwöhnen“, ob durch Wellness-Angebote, zarte Wäsche oder Blumen. An der Effektivität der Wirkung dieser Werbestrategien wird offenbar: Es muss ein tiefes Bedürfnis existieren, nicht ständig aktiv bzw. initiativ sein und funktionieren zu müssen, sondern einfach, ja, verwöhnt zu werden – wunderbar!??

Ohne Herausforderungen werden Kinder zu Nichtskönnern und Versagern

Unabhängig von solchen Gedanken: Die Aufgabe von Eltern und anderen Erziehungskräften in Kindergarten, Schule und Berufsausbildung ist, Kinder so zur fördern, dass sie mit Handlungskompetenz, Selbstbewusstsein und Verantwortung ihr eigenes Leben in Beruf, Partnerschaft, Familie und Gesellschaft meistern können. Dazu ist Hinwendung und nicht Verwöhnung notwendig. Wachsen Kinder jedoch in einem zu behüteten Umfeld auf, fehlt es an altersgemäßen Herausforderungen. Der Entwicklung von Selbstwirksamkeit – ein Schlüsselbegriff der Resilienzforschung – fehlt somit die Basis. Denn ein Aufwachsen im Schongang, führt nicht zu Durchhaltekraft, Stabilität, Selbstbewusstsein und Eigenverantwortung.

Kennzeichen sozialer und emotionaler Kompetenz

Aber was kennzeichnet ein Kind mit solchen sozial-emotionalen Kompetenzen? Es lässt sich nicht vom ersten Gegenwind umpusten, sieht sicht nicht als den Mittelpunkt der Welt, bringt sich förderlich in die Gemeinschaft ein, lernt mit Spannungen und Konflikten umzugehen, kann nachgeben ohne aufzugeben, erkennt mit dem Älterwerden immer deutlicher, dass Eltern nicht das Attribut der Vollkommenheit besitzen und demnach nicht immer alles richtig machen. Das hat zur Folge, auch mit eigenen Begrenztheiten besser umgehen zu können. So erhalten Kinder die besten Voraussetzungen, sich zu liebenswürdigen Erwachsenen mit einem stabilen ICH entwickeln zu können. Es geht also um die Vermittlung eines ‚ich pack das Leben an’-Faktor.

Überbehütung durch Helikopter-Eltern verhindert Eigenständigkeit

Besonders die so genannten Helikopter-Eltern verhindern eine mut-machende Lebensvorbereitung. Ständig sind sie mit ihrem: ‚Ich mach das schon für dich’, ‚das wird zu schwer sein’, ‚magst du dies wirklich noch essen’, ‚ wenn du nicht möchtest, dann brauchst du nicht …’ zur Stelle. In den USA wird schon zwischen elterlichen „Rettungs-, Kampf- und Transport-Hubschraubern“ unterschieden. Wer die Vergleiche mit diesem fast überall starten und landen könnenden Fluggerät nicht mag, sollte trotzdem sein eigenes Verhalten kritisch überprüfen. Denn dass Eltern anstelle ihrer Kinder – ob am Sandkasten, in der Schule oder beim Nachwuchs-Fußballclub – in die Kampf-Arena steigen oder ihre Töchter und Söhne ständig herumchauffieren um ihnen eine mühelosen Leben zu ermöglichen, ist zur ‚Normalität’ geworden. Der dänische Familientherapeut Jesper Juul, der als Verfechter einer entspannten Erziehung gilt, beschreibt in einem Spiegel-Interview die Folgen von Überbehütung so: ‚Verwahrlosung, Ignoranz und Desinteresse’, so argumentiert er, ‚richteten gar weniger Schaden in Kinderseelen an als jener Narzissmus, der den Nachwuchs glücklich und erfolgreich sehen will, um sich selbst als kompetent zu erleben’. Wer jedoch Kindern ständig Hindernisse aus dem Weg räumt, ihnen Mühe und Schweiß, täglich notwendigen Arbeiten oder Mitwirkungen ersparen will – selbst die Erfahrung von Trauer, etwa beim Tod der Großeltern – der führt diese gezielt in ein Terrain von Misslingen und Zukunftsangst. Solche Kinder wissen nichts über andere Menschen und nichts über sich selbst. Sie spüren nicht, was es heißt, traurig oder frustriert zu sein, kennen kein Mitgefühl, besitzen keine Herzenswärme, sind letztlich unter sozialen Aspekten lebensuntauglich.

Leben-Lernen braucht reichlich Herausforderungen

Der Irrglaube, dass eine Ausgrenzung von kindgerechter Anstrengung und Mühe den Start ins eigenständige Leben erleichtern könne, verbreitet sich rasant. Aber wie können sich Kinder auf die Herausforderungen des Lebens als Erwachsene in Beruf, Familie und Freizeit vorbereiten, wenn ihnen das notwendige Einübungsfeld verwehrt wird, sie kaum Konsequenzen – ob positive oder auch negative – ihres Handelns erfahren? Der Lebensalltag verdeutlicht immer wieder neu: Wer Selbstverantwortung und Eigenständigkeit nicht erlernt, kann nicht in gutem Zusammenwirken mit Anderen zielorientiert und erfolgreich handeln, wird kaum zu Selbstwirksamkeit und innerer Zufriedenheit gelangen. Insofern führt dieses allgegenwärtige Vorenthalten von altersgerechten Herausforderungen unsere Kinder gezielt zu Nichtkönnen und Versagen. Viele Probleme in Beruf und Partnerschaft haben dort ihren Ursprung.

Verwöhnte Teenies fliegen aus der Lehrstelle oder brechen das Studium ab

Das erzieherische Unvermögen im Umgang mit unseren Kindern ist extrem steigerungsfähig. Hier zwei aktuelle Belege zu verwöhnten Kindern aus der Schweiz: „Mami, gib mir Geld oder ich schlage dich. – Das neuste Smartphone, die teuerste Tasche: Bekommen Kinder und Jugendliche nicht, was sie wollen, ticken sie aus.“ – Ein Kinderpsychologe: „Verwöhnte Teenies kriegen keine Lehrstelle. – Kritikunfähig, zart besaitet, zu wenig ehrgeizig: Viele Junge müssen ihre Lehre abbrechen, weil sie zu verwöhnt sind“, sagt Psychologe Henri Guttmann (beides Beiträge der Zeitung „20 Minuten“ vom 11.3.2015). Dazu titelt „DIE WELT“: „Die Schule geschafft, aber der Arbeitswelt nicht gewachsen. – Seit Jahren sollen ‚unnötige Härten’ vermieden werden: keine Grundregeln beim Schreiben, keine schriftlichen Prüfungen, kein Sitzenbleiben. Mit der wahren Arbeitswelt sind Jugendliche so überfordert“ (vom 26.03.15). Und wenn dann die exklusiv im Auftrag des Stern durchgeführte tiefenpsychologische Kinderstudie als Resultat formuliert: „Eltern, erzieht uns endlich wieder!“ (vom 28.1.2015) und folgert: „Nicht Leistungsdruck überfordert unseren Nachwuchs, sondern Eltern, die ihren Job nicht richtig machen“, dann ist adäquates Handeln angesagt.

„Es geht um meine Kinder, da hat sich niemand einzumischen“

Dies ist jedoch leichter formuliert als umgesetzt. Denn eingefahrene Verhaltensmuster, eine zu starke Identifikation mit dem eigenen Nachwuchs, permanent Zeitdruck zu empfinden, selbst keine Spannung oder Anstrengung aushalten und sich nicht wirklich auf das eigene Kind mit seinen jeweiligen Bedürfnissen einlassen zu wollen bzw. zu können, werden vielfältige Abwehrmechanismen aktivieren. ‚Schließlich geht es um meine Kinder, da hat sich niemand einzumischen’, ist der häufigste Verteidigungs-Versuch. Aber ein tiefer gehender Blick macht deutlich, dass es meist nicht um die Kinder, sondern ums eigene Wollen und Wohlbefinden geht. Um die notwendigen Veränderungsschritte einzuleiten, ist eine kräftige Portion Selbst-Kritik und Umorientierungs-Bereitschaft notwendig. Hier die mutmachende Praxis-Konkretisierung einer Journalistin und dreifachen Mutter:

„Verwöhnung macht asozial“ – Transfer in den Erziehungs-Alltag

„Es ist ja nicht so, dass, bloß weil etwas stimmt, man es auch automatisch gerne gesagt bekommt. Bisher hatte ich immer gemütlich gedacht, dass es in Ordnung sei, wenn ich meine Kinder ab und zu verwöhne. Hier ein Eis außer der Reihe, da eine halbe Stunde länger Fernsehen. Wird schon nicht so schlimm sein, dachte ich, sofern ich überhaupt darüber nachdachte, bis ich Dr. Albert Wunsch anrief, den Erziehungswissenschaftler und Autor des Buches ‚Die Verwöhnungsfalle’. – ‚Ist Verwöhnen denn immer schlecht?’ frage ich und bin mir dabei noch keiner Gefahr bewusst. Zunächst täuscht mich der bezaubernde, rheinländische Singsang des Gelehrten über die Schonungslosigkeit seiner Aussagen hinweg: ‚Verwöhnung macht asozial, lebensuntüchtig und einsam,’ sagt Wunsch und ich ziehe den Kopf ein. Zu spät. Volle Breitseite. ‚Sie haben den Auftrag, Ihre Söhne in ein eigenständiges Leben zu führen und das ist nicht im Schongang erlernbar. Stehlen Sie den Kindern ihre Probleme nicht! … Dadurch erziehen Sie sie zu unselbstständigen Menschen, die alles wollen aber nichts geben und später in der ersten eigenständigen Wohnung erschrocken feststellen, dass der Mülleimer nicht von alleine leer und der Kühlschrank nicht von alleine voll wird. Kinder brauchen Herausforderungen, um stark zu werden’.“ – Die Brigitte Problemzonen-Kolumnistin ist aktiv in die Selbst-Auseinandersetzung eingestiegen. Copyright: Dr. Albert Wunsch, 41470 Neuss, Im Hawisch 17

 

Geht auf die Barrikaden gegen den Bildungsplan 2015. Dr. Albert Wunsch. Seine Gründe.

Geht auf die Barrikaden gegen den Bildungsplan 2015. Dr. Albert Wunsch. Seine Gründe.

Dr. Albert Wunsch ist Psychologe, Diplom Sozialpädagoge, Diplom Pädagoge und promovierter Erziehungswissenschaftler. Bevor er 2004 eine Lehrtätigkeit an der Katholischen Hochschule NRW in Köln (Bereich Sozialwesen) begann, leitete er ca. 25 Jahre das Katholische Jugendamt in Neuss. Im Jahre 2013 begann er eine hauptamtliche Lehrtätigkeit an der Hochschule für Ökonomie und Management (FOM) in Essen / Neuss. Außerdem hat er seit vielen Jahren einen Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der Uni Düsseldorf und arbeitet in eigener Praxis als Paar-, Erziehungs-, Lebens- und Konflikt-Berater sowie als Supervisor und Konflikt-Coach (DGSv). Er ist Vater von 2 Söhnen und Großvater von 3 Enkeltöchtern.

Seine Bücher

  • Die Verwöhnungsfalle (auch in Korea und China erschienen)
  • Abschied von der Spaßpädagogik, Boxenstopp für Paare
  • Mit mehr Selbst zum stabilen ICH – Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung

lösten ein starkes Medienecho aus machten ihn im deutschen Sprachbereich sehr bekannt.

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