Pflegemutter eines Multiproblem-Milieu-Kindes zu Unrecht zur Gefängnisstrafe verurteilt ?
Jugendamt verschweigt bei Übergabe des Kindes die dramatischen Kindheitserlebnisse des Jungen: Vollwaise nach Tod eines alkoholabhängigen Vaters und der im exzessiven Drogenrausch in ein Taxi gelaufenen und überfahrenen Mutter
Landgericht Würzburg Az. 3 NS 916 Js 20480/17(2)
von Dr. Andrea Christidis
2023-03-06
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Gießen. Am 14.02.2023 wurde am Landgericht Würzburg die Gefängnisstrafe einer offenbar zu Unrecht rechtskräftig verurteilten Frau endgültig bestätigt. Die Verurteilte war Pflegemutter eines 2001 geborenen Jungen, der 2010 innerhalb kurzer Zeit zum Vollwaise wurde. Nach dem Tod des alkoholabhängigen Vaters war die Mutter im exzessiven Drogenrausch in ein Taxi gelaufen und überfahren worden. Jugendamt, Vormund und andere Zeugen berichteten vor Gericht über die dramatischen Kindheitserlebnisse dieses Pflegejungen, der, ständig abgeschoben zwischen den getrennt lebenden Eltern und einer Tante, in einem Multiproblem-Milieu aufwuchs. Die älteren Geschwister waren sämtlich in Kinderheimen untergebracht, nur N. K., der Jüngste, war bei den „erziehungsunfähigen“ Eltern vergessen worden, was schon viele Fragen zur Arbeitsweise des Jugendamts aufwirft.
Noch mindestens zwei Tage nach dem Tod ihrer Mutter irrten der damals 9jährige N. K. und eine etwas ältere Schwester in der völlig verwahrlosten Wohnung herum. Weder Verwandte, noch Vormund, noch Kinderheim, noch Jugendamt vermissten sie, bis sie entdeckt wurden. Der rechtsmedizinisch festgestellte, erhebliche Drogenkonsum der polizeibekannten Mutter hatte Anlass zur Hausdurchsuchung gegeben, um Hinweisen auf Beschaffungskriminalität nachzugehen. Die Beamten brachten die Schwester zurück ins Heim, N. K. kam erstmalig zu einer Pflegemutter; man kann nur spekulieren, was passiert wäre, wenn die Kinder bis zum Schluss im Gerümpel auf die sog. „Garanten des Kindeswohls“ gewartet hätten.
Die Pflegemutter erfuhr nichts über die Herkunft und die vorausgegangenen Lebensumstände des von ihr aufgenommenen Kindes. Aber zweieinhalb Jahre später stand sie fassungslos da vor einem Pflegekind, das notorisch log und stahl, was auch die Entwicklung eines weiteren Pflegekindes im Haushalt gefährdete. N. K. war für sie untragbar geworden. Sie bat um ihre Ablösung, und N. K. kam in eine andere Pflegefamilie, wo er blieb, bis 2018 gegen ihn (mittlerweile 17jährig) polizeilich ermittelt wurde: N. K. hat ein anderes, 3jähriges Pflegekind in derselben Familie missbraucht.
Plötzlich stand die frühere Pflegemutter nach einer Anzeigenerstattung unter Anklage, N. K. während des zweieinhalbjährigen Zusammenlebens mehrfach schwerwiegend misshandelt zu haben: Sie soll ihm mehrfach fiktive Lügen und Diebstähle unterstellt haben, um perfide Strafen für ihn auszudenken. So habe der Junge zur Strafe seinen eigenen Urin trinken gemusst, sei einem Waterboarding unterzogen worden, habe nächtelang in einem kalten Keller oder in einer Garage verweilen müssen und stundenlang unter der eiskalten Dusche gestanden haben. Sogar laut abgezählte 50 (i.W.: fünfzig) Ohrfeigen habe er einmal mit voller Wucht auf die eine Wange erhalten. Die Folter wäre auf der anderen Seite mit weiteren 50 Schlägen fortgesetzt worden, hätte nicht das Telefon seiner Peinigerin geklingelt. So sei sie abgelenkt worden und habe danach vergessen, weiterzumachen, so dass der damalige Grundschüler (und nun Zeuge) N. K. in Ruhe habe seine angefangenen Hausaufgaben erledigen können.
Aufgrund seiner so „glaubhaft“ geschilderten Qualen wurden N. K. mildernde Umstände zuerkannt. Er erhielt so für seine Straftat nur die Auflage, eine Psychotherapie durchzuführen.
Als N. K. 18 Jahre alt war, wurde bei ihm eine „Störung des Sozialverhaltens“ diagnostiziert. Diese Störung mündet ab dem 21. Lebensjahr in eine „Dissoziale Persönlichkeitsstörung“, die laienhaft als Psychopathie bezeichnet wird. Zugleich wurde aber die gerichtlich anerkannte Annahme, das sei alles eine Folge der Traumatisierung durch die ehemalige Pflegemutter, verspätet ausgeschlossen. Im Arztbericht der Klinik Mosbach vom 15.02.2019 wird herausgestellt: „Ein Anhalt für die Symptomatik einer Posttraumatischen Belastungsstörung konnte allerdings nicht festgestellt werden.“ Dementsprechend können dem jungen Mann nicht die von ihm beschriebenen Foltermaßnahmen zugefügt worden sein. Denn schon einzelne von ihnen hätten feststellbare psychische Traumaspuren in wenigstens ansatzweise ärztlich erkennbarer Form hinterlassen (z. B. jahrelange Schreckhaftigkeit, Einschlafprobleme, Intrusionen u. s. w.).
Es liegt nahe, dass hier eine Täter-Opfer-Umkehr vorliegt, und die psychischen Mechanismen dahinter sind bekannt. Sie entsprechen denen, die man, wie hier, bei sexuellem Missbrauch an Kleinkindern, bei Vergewaltigungen und anderen Straftaten erlebt. Auch da kommt es immer wieder vor, dass Menschen mehr Sympathie für den „armen Täter“ haben, den man verstehen müsse. Vor allem aber triefen Psychopathen vor Selbstmitleid, während sie kein oder kaum Mitleid mit anderen empfinden können.
Erheblich ist, dass eine solche Betrachtungsweise, Sympathie für Täter aufzubringen, vorwiegend in Deutschland verbreitet ist, kaum aber in anderen Ländern. Da liegt der Verdacht nahe, dass dies mit dem Bewusstsein zu tun hat, dass wir als „Tätervolk“ gebrandmarkt sind.
Der Pflegejunge widersprach sich wiederholt in seinen Anschuldigungen gegen seine frühere Pflegemutter, was sowohl den Ermittlern als auch Richter Trapp, Richterin Krischker und der Aussagepsychologin Bargel hätte auffallen müssen. Stattdessen wurden mindestens zwei Zeugen, die N.K. über längere Zeit erlebt hatten und etliche seiner Erzählungen ganz anders wahrgenommen hatten, ignoriert, d.h. nicht etwa, als irrelevant oder unglaubwürdig abgetan, sondern bloß ignoriert. Ihre Aussagen wurden lediglich in der Akte abgelegt und niemals berücksichtigt.
Als besonders perfide erwies sich jedoch eine Falschaussage der Würzburger Jugendamtsmitarbeiterin Frau Glück. Sie behauptete unwahr, die Pflegemutter habe die Beschuldigungen von N.K. sowohl ihr selbst als auch der Amtsvormündin gegenüber zugegeben. Sie sagte den Ermittlern konkret, die Pflegemutter habe „auch mir und Frau KREUßER gegenüber zugegeben, dass sie [N.K.] kalt abgeduscht, an den Haaren gezogen und im Keller eingesperrt hätte.“ Auf Frage des Gerichts sagte sie dagegen:
„[Der Pflegemutter] wurden die Vorwürfe genannt. Sie hat es nicht zugegeben, aber sie hat gesagt, sowas macht sie in etwa. (…)
Gestützt auf die Angaben von Frau Glück erhob die Staatsanwaltschaft Würzburg überhaupt Anklage gegen die Pflegemutter.
Auf intensivere Befragung der Verteidigung der Pflegemutter sagte sie dann: „Sie hat nichts zugegeben, aber auch nichts abgestritten. Fr. Kreußer und ich haben [die Pflegemutter] mit den Vorwürfen konfrontiert“
Auf Frage des Gerichts antwortete die Vormündin Frau Kreußer dagegen: „Nein, ich habe nicht mit [der Pflegemutter] über die Vorfälle gesprochen“.
Die Protokolle aus den Vernehmungen des Pflegejungen durch den Polizeiangehörigen Brückner und die Aussagepsychologin Bargel enthalten so viele unzulässige Einflussnahmen, dass die Aussagen des Zeugen N. K. im Normalfall als unverwertbar gegolten hätten; dann hätte sich die Justiz allerdings mit den Falschaussagen der Jugendamtsmitarbeiterin befassen müssen. Stattdessen wurde die frühere Pflegemutter verurteilt, und das ist inzwischen Alltag in deutschen Gerichten.
Richterin Heiduck am Amtsgericht Gemünden am Main ließ sich von den Widersprüchen in der Ermittlungsakten nicht beeindrucken und verurteilte die Angeklagte am 5.11.2018 zu einem Jahr und acht Monaten Gefängnis ohne Bewährung. Der Verteidiger, Dr. jur. Balzer ging in Berufung, und Richter am Landgericht Würzburg Trapp reduzierte am 27.11.2019 das Strafmaß auf ein Jahr und sechs Monate – allerdings auf Bewährung, was der Ex-Pflegemutter wenigstens den Gang ins Gefängnis erspart hätte. Der Verteidiger verzichtete auf Rechtsmittel – vorschnell, wie es sich zeigte, denn damit wurde die Verurteilung als solche rechtskräftig, die behaupteten Straftaten galten als bewiesen.
Abhilfe gegen Fehlurteile bieten die Wiederaufnahmeverfahren. Diese sind allerdings in Deutschland allgemein chancenlos, weil die Hürden, eine solche Klage zu gewinnen, außerordentlich hoch sind. Denn hierzulande ging es immer (auch schon vor 1945) in rechtlicher Hinsicht darum, Behörden -und nicht etwa Bürger- vor staatlichem Unrecht zu schützen. Besonders gut erkennt man das an den fast immer zum Scheitern verurteilten Amts- und Gutachterhaftungsklagen, bei denen Voraussetzung ist, dass dem Amtsträger bzw. Gutachter Vorsatz oder wenigstens grobe Fahrlässigkeit nachzuweisen ist. Sonst wird auch lebenslange rechtswidrige Amtsführung mit Diskriminierung oder gar Verurteilung Unschuldiger als (Jargon) „vertretbar“. Wichtige Bausteine dazu waren die Aushöhlung des Straftatbestands der Amtshaftung und der Rechtsbeugung. Statt den Mut und die Kraft zu einer Selbstreinigung der Justiz aufzubringen und die schweren Rechtsbeugungen ihrer braunen Berufskollegen angemessen hart zu bestrafen, war die bundesdeutsche Justiz nach 1945 mehr und mehr bestrebt, den entsprechenden Paragraphen 336 des Strafgesetzbuches immer restriktiver auszulegen. Bis heute wird durch diese Erblast eine effektive Selbstkontrolle und Selbstkorrektur der Justiz verhindert. Verdacht auf Rechtsbeugung gegen deutsche Richter wird allenfalls bei Zulassung von Maskenfreiheit in Corona-Zeiten in Betracht gezogen.
Nun ging die Staatsanwaltschaft in Revision. Sie bemängelte die Aussetzung zur Bewährung, denn die verurteilte Pflegemutter war weiterhin nicht geständig – und schon gar nicht reuig. Der Fall wurde der Richterin am Landgericht Würzburg Krischker vorgelegt. Die verzweifelte Pflegemutter flüchtete sich in die Beauftragung des streitbaren Anwalts Markus Matuschczyk, der zur Anfertigung eines psychologisch-forensischen Gutachtens durch die Autorin riet. In aller Eile entstand zunächst eine vorläufige Expertise, die auf der Grundlage der gerichtseigenen Akten einige der Ungereimtheiten aufdeckte und dem Gericht einige Tage vor der Verhandlung vorgelegt wurde.
Zur real existierenden deutschen Justiz gehört auch, dass, wenn ein Gutachter Verfahrensfehler und Gefälligkeiten unumstößlich nachweist, nicht seine einwandfreie Erkenntnis, sondern, in Ermangelung sachlicher Argumente, seine formale Berechtigung zum Überbringen unbequemer Nachrichten in Frage gestellt wird. Vorzugsweise erfolgt das öffentlich, in Anwesenheit „kooperativer“ Medien. Letztere erfahren fast nie, dass ein Gefälligkeitsgutachten einer mutmaßlich gezielt minderqualifiziert ausgesuchten „Sachverständigen“ vorausgegangen war. Dementsprechend hat in der fünfzehnjährigen Gutachtertätigkeit der Unterzeichnerin nie ein (privat oder vom Gericht) beauftragter „Obergutachter“ eine Expertise fachlich angegriffen.
Auf der mündlichen Verhandlung vom 12.05.2022 kritisierte die Vorsitzende Richterin Krischker, dass die Expertise viel zu kurzfristig im Verfahren eingereicht wurde (durch den neuen Anwalt und die erst von ihm empfohlene Autorin). Dennoch hatte Richterin Krischker durchaus die Muße gehabt, die Gießener Gutachterin zu googeln und durch Faktenchecker u.a. geäußerte Zweifel an der Gültigkeit ihrer akademischen Titel zu entdecken. Also befand sie die Expertise für „zweifelhaft“ und „völlig ungewöhnlich“. Auf den Einwand des Verteidigers, dass es weder seine noch ihre Qualifikation tangiere, das zu beurteilen, erklärte die Richterin, sie habe nach dem „Googeln“ die Staatsanwaltschaft Gießen angerufen. Diese habe ihr bestätigt, dass mehrere Verfahren gegen die Autorin laufen würden. Auf Nachfrage des Verteidigers, wo und von wem sie konkret welche Informationen gehabt hatte, war ihr das nicht mehr erinnerlich. Dabei ist der vorsitzenden Richterin weder Vergesslichkeit noch Flüchtigkeit vorzuwerfen: Die einschlägigen Anschwärzungsportale werden anonym betrieben. Die darin losgelassenen Berufsdenunzianten kennen meistens nur jene, die über ihre Hassreden zu richten hätten und einige jener, die von ihnen auftragsgemäß diffamiert werden. Für Strafrichterin Frau Krischker handelt es sich somit um berufsrelevante Literatur.
Offen blieb nur, ob ihr die Gießener Ermittler mitgeteilt hatten, dass in der letzten Dekade über 80 Denunziationen dieser Art gegen die Unterzeichnerin angestrengt (und vermutlich aufgrund ihrer Peinlichkeit erst gar nicht eröffnet) worden waren; zuvor war eine weitaus höhere Anzahl von Fällen staatlicher Willkür aufgedeckt worden. Bei den zu Ende geführten Verfahren des letzten Jahrzehnts forderten die vorsitzenden Richter wiederholt die Staatsanwälte auf, selbst die Einstellung des Verfahrens zu beantragen. Die Staatsanwälte beriefen sich in ihrer Verweigerungshaltung auf „Anweisung von oben“. Es folgten Freisprüche „aus rechtlichen Gründen“. Unschuldiger kann man nicht sein.
Nichtsdestotrotz zeugt es von minderer Eleganz, wenn Richterin Krischker sich nicht danach erkundigt, welche Staatsanwaltschaft sie sich da zu Rate zog: Ausgerechnet gegen die Staatsanwaltschaft Gießen sind Vorwürfe der Korruption und auftragsmäßigen Falschbeschuldigung (OLG Frankfurt am Main, Az. 1 U 148/20) rechtshängig; seit Jahren wird sie in der Fachliteratur[1] bezichtigt, Betreiber von (so wörtlich) „Kinderhandel“ zu decken, was auch für eine Strafrichterin bei der Auswahl ihrer Quellen nicht belanglos sein dürfte. Der denunzierende Staatsanwalt, Herr Ullrich, der Auskünfte an Richterin Krischker laut Gerichtsakte erteilt hat, ist auch der Ehemann der früheren Oberamtsrätin Stefanie Ullrich (ehemals Djidonou), die als Justiziarin im Landkreis Gießen nachweislich begangene Straftaten im Jugendamt vertuscht hat. Das Ehepaar Ullrich geht arbeitsteilig vor: Nach Enthüllung der Straftaten durch die Unterzeichnerin verfasste der Staatsanwalt Klageschriften mit fingierten Beschuldigungen gegen die Enthüllerin dieser Straftaten, während seine Frau sensible, aber falsche, Daten über sie beim Berufsverband Deutscher Psychologen verbreitete. Frau Ullrich musste ihre lukrative Tätigkeit im Landkreis Gießen deswegen aufgeben. Nun ersinnt ihr Ehemann immer neue Straftaten, die zwar nie begangen wurden, die aber unter seiner Leitung eine Täterin suchen. Richterin Krischker macht sich demnach Denunziationen von Bandenmitgliedern zu eigen und unterstützt mit ihren Aussagen in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung die Vertuschung ihrer Straftaten.
Sollte die Schützenhilfe für innerbehördliche mutmaßliche Kriminelle im fernen Hessen unbeabsichtigt geleistet worden sein, so hat sich Richterin Krischker der Verdeckung des Versagens von Jugendamt, Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht, aber auch der offensichtlichen Falschaussagen vor ihrem eigenen Gericht (durch Jugendamtsmitarbeiterin Glück und Herrn N. K.) in Bayern bei vollem Bewusstsein und mit aller Kraft gewidmet: Bei aller Zeitknappheit, die es ihr erschwerte, die Expertise sorgfältig zu lesen und qualifizierte Fragen hierzu zu verfassen, hat sie (statt die mündliche Verhandlung zu verlegen) sämtliche Beteiligten umsonst anreisen lassen, zum ausschließlichen Zweck, die Expertise und ihre Autorin öffentlich unglaubwürdig erscheinen zu lassen, als sei sie die Angeklagte im Verfahren.
Richterin Krischker lud für den 14.02.2023 auch die Autorin – wie sich jedoch herausstellte, nicht um sie ihr Gutachten verteidigen zu lassen. Sie wollte sich vielmehr ein Podium schaffen, um hinter ihrer Maske ihre Polemik gegen „staatsferne“ Wissenschaft vorzutragen. Doch zunächst machte sie der Pflegemutter deutlich, dass an ihrer rechtskräftigen Verurteilung nichts mehr zu ändern sei. Es gehe lediglich um die Aufrechterhaltung oder Aufhebung der Aussetzung zur Bewährung. Die Voraussetzung hierfür sei ein umfassendes Geständnis und erkennbare Reue. Die Verurteilte war sich jedoch keiner Schuld bewusst, N.K. gequält zu haben und entschuldigte sich allgemein für Fehler, die ihm zugesetzt haben könnten.
Nicht alle Anwesenden hatten evtl. erwartet, dass die Richterin dann den Pflegejungen N.K. fragte, welche Strafe er sich für seine ehemalige Pflegemutter wünsche. Umso schlüssiger war dagegen seine Antwort, dass er sich eine Gefängnisstrafe und einen höheren Geldbetrag als Entschädigung wünsche, damit es ihm besser gehe. Dem ist Richterin Krischker schließlich auch nachgekommen. Widersprüchliche Antworten bei seiner Befragung durch die Gutachterin wurden vom Gericht sinngemäß als irrelevante Korrekturen hingenommen. So spielte es schließlich keine Rolle, ob N.K. durch seine Pflegemutter mehrmals die Kellertreppe hinuntergestoßen worden und gestürzt war, oder ob er mal geschubst wurde, so dass er sich am Geländer habe festhalten müssen. Das Urteil stand ohnehin fest, eine neuere Beweisaufnahme war nicht zulässig, was die Richterin später mehrmals an die Adresse der Gutachterin richtete.
Ohne allzu große Begeisterung folgte dann die Vorsitzende dem Vorschlag von RA Matuschczyk, die Gutachterin etwas sagen zu lassen; immerhin war sie deswegen geladen worden. Diese betonte, dass sie die „verurteilte Straftäterin“ nach international gültigen Testverfahren untersucht und bei ihr einen (ganz dem Anschein entsprechenden) ausgesprochen friedlichen Charakter bei überdurchschnittlicher Aggressionshemmung nachgewiesen habe. Zudem habe sie (nicht zuletzt aufgrund ihrer forensischen Zusatzausbildung) feststellen können, dass die von N.K. geschilderten Folterungen schon aus anatomischen Gründen sich nicht so hätten ereignet haben können: Mit eigens durchgeführten Rekonstruktionen hatte sie nachweisen können, dass die von N.K. beschriebene Körperstellung und Atembewegung beim angeblichen „Waterboarding“ für menschliche Körper nicht möglich sind. Und wie unauffällig ein ausgehungertes, durchgefrorenes, mit 50 Ohrfeigen traktiertes Kind in der Schule mitkommt, kann man sich auch ohne Promotion in Psychologie ausmalen. Auch für die Herstellung eines Bezugs zu der vor Langem, durch andere Experten bei N.K. diagnostizierten „Störung des Sozialverhaltens“ sei ohne höhere Bildung erreichbar. Letztlich müsse man einsehen, dass das Gericht von der rechtskräftig verurteilten Frau verlangt, Taten zu gestehen, die schon physisch in der „gerichtlich beschlossenen“ Form nie passiert sein können. (Ein Anwesender sagte später, immerhin sei der Verurteilten kein Ritt auf dem Besen vorgehalten worden.) Eine intakte Persönlichkeit, wie sie von allen validen Tests bestätigt wurde, sei zu einem solchen Akt nicht bereit, auch wenn ihr Einweisung in ein Gefängnis drohe, wo sie als „Kinderschänderin“ die Konfrontation mit roher, mittelalterlicher Gewalt nach den Regeln der Mitgefangenen zu erwarten habe.
Die Gutachterin konnte gehen, und manche der im Saal verbliebenen Prozessbeobachter protokollierten, wie die Richterin ihren Auftritt eröffnete, nicht ohne eine eigene Interpretation des gutachterlichen Vortrags wiederzugeben. Einer der Kernpunkte war die Unterstellung, die Unterzeichnerin hätte Waterboarding mit Kindern gemacht, was diese nicht nur in ihrem mündlichen Vortrag, sondern schon in der schriftlichen Expertise zuvor mit Fettdruck explizit negiert hatte – ging es doch nur um die Überprüfung von Körperstellungen mit kindlichen Körpern, deren Unmöglichkeit jedoch weiterhin für das Gericht kein Thema war.
Hier kam eine weitere, fast nur unter Betroffenen bekannte, Begleiterscheinung des real existierenden deutschen Rechtsstaates zum Vorschein: Viele Angehörige der Richterschaft, als auf Lebenszeit angestellte Vertreter einer „demokratischen“ Staatsgewalt, verwandeln jeden Prozess, ob Straf- Zivil- Verwaltungs- oder Familienverfahren, in ein Straftribunal gegen jeden Beteiligten, der ihrem vorgefassten Urteil nicht förderlich ist. Vorliegend war das die Gutachterin, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein vorprogrammiertes Fehlurteil aufdeckte, das helfen könnte, jahrelange Fehler und Versäumnisse des zuständigen Jugendamtes unter der Decke zu halten: Entscheidend für die Staatsfunktionäre sind nicht die Konsequenzen aus der erst physischen, dann psychischen Verwahrlosung von N.K. und der daraus erwachsenen Gefahr für ihn und andere, sondern die Verurteilung einer Außenstehenden, damit dem öffentlichen Staatsbild genüge getan ist.
Für die abschließende Darbietung spielte es keine Rolle, ob Richterin Krischker die ihr vorgelegte Expertise, die Gutachtenkritik und das Gutachten der Autorin hat sorgfältig lesen können. Auch fachliche Aspekte konnten keinen Einfluss auf ihre grenzenlose Urteilskraft und Entscheidungsfähigkeit haben. In absolut verächtlicher Art und Weise zog sie über die Gutachterin her, die gerade den Saal verlassen hatte. Diese habe ein „absurdes Pseudogutachten“ verfasst; und „so etwas will Psychologin sein“. Der Vorwurf, die Gutachterin hätte zur Nachstellung kleine Kinder einem „Waterboarding“ unterzogen (also selbst gefoltert), war an sich nicht neu. Neu war jedoch das Erstaunen der Richterin, dass das dazugehörige Gutachten auch „Bildchen“ der nachgestellten Szenen enthalte, was sie (die Strafrichterin im Rekonstruktionsalltag) „noch nie erlebt“ habe. Ein befreundeter, europaweit in leitenden Positionen eingesetzter und inzwischen pensionierter Kriminalist fragte bei dieser Schilderung belustigt, ob die Richterin zu jung gewesen sei, um die Bedeutung von Rekonstruktionen begriffen zu haben. Bei der Klarstellung, dass Richterin Krischker durchaus berufserfahren gewirkt habe, stockte seine Belustigung; er sagte nur noch: „Ja dann ist doch klar, was hier läuft“.
Aus eigener Sicht wird es eine Selbstverständlichkeit sein, Dienstaufsichtsbeschwerde, Strafanzeige und Unterlassungsklage gegen Richterin Krischker einzureichen. Wer sich etwas mit der deutschen Justizgeschichte befasst hat, weiß, dass sie noch viele Unschuldige verurteilen und noch viel mehr Wissenschaftler verhöhnen kann, ohne auch nur wahrzunehmen, ob die sich jemals beschwert haben. Dazu braucht man nur zu erkunden, wie der Straftatbestand der Amtshaftung und der Rechtsbeugung nach 1945 ausgehöhlt wurde, um Nazi-Richter in die BRD bruchlos übernehmen zu können. [2] Bei der angewandten Politik ist fraglich, ob ein Roland Freisler je verurteilt worden wäre, hätte er den 8. Mai 1945 überlebt. Sein Kollege Filbinger hat jedenfalls erst danach richtig losgelegt – als Nazi-Richter
[1] z.B.: „Staatliche Kindeswohlgefährdung?“ HRSG. Prof. Dr. Hörmann und Dr. Körner, Beltz Juventa Verlag
[2] Bossi, Rolf (2006): „Halbgötter in Schwarz“, Goldmann in München (S. 272)