98 Jahre alte ehemalige Zivilangestellte der SS wendet sich gegen ihre Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen und versuchtem Mord in fünf Fällen
Im Tatzeitraum war die Beschwerde führende Stenotypistin in der Kommandantur des von der SS betriebenen Konzentrationslagers Stutthof 18 und 19 Jahre alt: Sie habe willentlich dabei unterstützt, Gefangene durch Vergasungen, durch die Schaffung lebensfeindlicher Bedingungen im Lager, durch Transporte in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und durch Verschickung auf sogenannte Todesmärsche grausam zu töten
2024-02-04
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Karlsruhe. Der Bundesgerichtshof Karlsruhe (BGH) macht in seiner Pressemitteilung Nr. 018/2024 vom 01. Februar 2024 den Beschluss vom 24. Januar 2024 – unter Aktenzeichen 1 StR 2/24 geführt – der Öffentlichkeit bekannt.
In der Mitteilung der Pressestelle des Bundesgerichtshofes heißt es wörtlich: „Bei dem in Leipzig ansässigen 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ist die Revision einer 98 Jahre alten ehemaligen Zivilangestellten der SS eingegangen, die sich gegen ihre Verurteilung durch das Landgericht Itzehoe wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen und versuchtem Mord in fünf Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von zwei Jahren wendet.
Nach den Urteilsfeststellungen war die im Tatzeitraum 18 und 19 Jahre alte Beschwerdeführerin vom 1. Juni 1943 bis zum 1. April 1945 als Stenotypistin in der Kommandantur des von der SS betriebenen Konzentrationslagers Stutthof beschäftigt. Das Landgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Angeklagte durch die Erledigung von Schreibarbeit in der Kommandantur die Haupttäter willentlich dabei unterstützt habe, Gefangene durch Vergasungen, durch die Schaffung lebensfeindlicher Bedingungen im Lager, durch Transporte in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und durch Verschickung auf sogenannte Todesmärsche grausam zu töten oder dies versucht zu haben. Ihre Arbeit sei für die Organisation des Lagers und die Durchführung der grausamen, systematischen Tötungshandlungen notwendig gewesen.
Das Landgericht hat Jugendstrafrecht angewendet, weil die Angeklagte zur Tatzeit noch Heranwachsende im Sinne von § 1 Abs. 2 JGG gewesen sei und bei ihr damals Reifeverzögerungen im Sinne von § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG vorgelegen hätten. Die Regelung des § 105 JGG stelle das gegenüber den früher geltenden Jugendgerichtsgesetzen, die eine Anwendung von Jugendstrafrecht auf Heranwachsende nicht vorsahen, mildere Recht im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB dar.
Gegen das Urteil hat die Angeklagte Revision eingelegt, die mit der ausgeführten Sachrüge begründet ist. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, einen Termin zur Revisionshauptverhandlung zu bestimmen, weil die Revision der Angeklagten grundsätzliche Fragen zur Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Mord durch die Dienstverrichtung in einem Konzentrationslager, das nicht zugleich ein reines „Vernichtungslager“ gewesen sei, aufwerfe, über die der Bundesgerichtshof für diese Konstellation noch nicht entschieden habe.
Der Bundesgerichtshof wird nach Terminierung der Sache über den weiteren Fortgang des Verfahrens informieren.“
Das vorinstanzliche Urteil erließ das Landgericht (LG) Itzehoe vom 20. Dezember 2022 unter Aktenzeichen 3 KLs 315 Js 15865/16 jug.
Angewendete Vorschriften:
- 211 StGB Mord
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
(…) aus niedrigen Beweggründen,
(…) oder grausam (…) einen Menschen tötet.
- 27 StGB Beihilfe
(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.
(…)
- 2 StGB Zeitliche Geltung
(…)
(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.
(…)
- 1 JGG Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich
(…)
(2) Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.
(…)
- 105 JGG Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende
(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn
- die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand,
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